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Der Selbstwert

Aktualisiert: 9. Juni



Auf einer Konferenz wurde der Dalai Lama einmal gefragt, wie man denn seinen Selbstwert verbessern konnte. Er hatte Schwierigkeiten die Frage zu verstehen und wandte sich an seinen Dolmetscher. Es dauerte 8 Minuten bis er dem fassungslosen Dalai Lama das Konzept des Selbstwerts erklärt hatte. Der Dalai war entsetzt.


Für einen Mann der sein Leben der Realisation des Selbst gewidmet hat, ist der Gedanke diesem Kern der Menschlichkeit der uns bedingungslos miteinander verbindet einen Wert beizumessen offensichtlich widersprüchlich.


Sowohl das Selbst als universelle Seinsgrundlage als auch der Wert, der eben nicht anderes als ein Ausdruck von Bedingungen zur Vergleichbarkeit ist (deshalb auch Grundlage der Marktwirtschaft) beide bilden nunmal die in sich paradoxe Basis der Menschheit.

Diese innere Zerrissenheit ist conditio humana. Wir sind Teil der Natur, aber irgendwie auch nicht. Sind verbunden, aber auch getrennt. Sehnen uns nach mehr obwohl wir alles haben usw. Dieser Antagonismus hat unendliche Ausprägungen weil er nunmal, die Natur des Menschen ist. Es sind und bleiben trotzdem Gegensätze.


Das Selbst: die heilige Kuh des Westens

Der Begriff des Selbst als immanenter und unendlicher Wesenskern alles Seienden entspringt größtenteils aus den Hinduismus und Buddhismus. Das Ziel dieser Religionen ist die Realisation der bedingungslosen Verbundenheit mit allem was ist.

Sie propagiert eine Abkehr vom Materiellen hin zu Meditation und selbstloses Handeln.

In der westlichen Kultur wurde dieses Konzept an die bestehenden Prinzipien angepasst. Was bleibt ist eine leere Hülle.

Ein Schleier der die Menschen von der Erkenntnis abhält die sie verspricht.

Hier wird eine korrupte pseudo-Spiritualität praktiziert, welche Gier, Neid und Konkurrenzdenken kaschieren soll. Sie fungiert als eine Legitimation, genau wie Kriege im Namen der Liebe Gottes geführt werden, kämpft der Mensch gegen sich selbst für sich selbst.

Mit allen Mitteln der Kriegskunst wird das Selbst beobachtet, optimiert und diszipliniert denn man ist selbst sein härtester Gegner. Der Lama war also zurecht erschrocken


Was bist du wert?

Ein Wert ist von Natur ein Mittel zur Vergleichbarkeit. Güter sind nur etwas wert, weil Sie mehr oder weniger wert sind als andere Güter. Eine Kategorie des Tauschhandels und der Marktwirtschaft.

Dieses Konzept von den Gütern auf den Menschen zu übertragen, der zunehmend dazu angetrieben wird Werte zu erreichen, ist nichts anderes als die schrittweise Ausbreitung marktwirtschaftlicher Prinzipien auf den verbleidenden Rest der Freiheit.

Der Übergang vom Arbeiter zum Unternehmer spiegelte einen Machtwechsel wieder, der sich als Machtabschaffung ausgab.

Seit die meisten Güter keine physische Arbeit und eine dementsprechend Erholung der Arbeitskräfte einfordert, werden Freiheit und Erholung vom Appel zur Selbstoptimierung korrumpiert. Die einst von externen Mächten ausgeübte Gewalt z.B. Disziplinierung und Beobachtung wurden so zur Selbst-Disziplin und Selbst-Reflexion internalisiert. Die Werte nach denen Menschen heute streben sind im Grunde die Beschreibung eines funktionalen und glücklich (wirkenden) Arbeiter.


Das Oxymoron

Wie schon erwähnt ist diese Spaltung, der Riss zwischen dem Bewusstsein um die universelle Verbundenheit mit allem was ist sowie der Wunsch nach Wachstum, Anerkennung und Überlegenheit jedem Menschen eingeschrieben.

Manch einer (wie der Dalai Lama) mag das Selbst im Fokus der Wahrnehmung habe, andere konzentrieren sich darauf durch Erfolg an die Spitze der Schöpfung zu gelangen, aber wir alle wissen um beide Aspekte der Menschlichkeit. Diese innere Zerrissenheit, und der Schmerz der sich daraus ergibt, ist ein Axion unserer Existenz.


Das Konzept des Selbstwerts ist einer der vielen kläglichen Versuchen diesen Zustand zu verleugnen. Sich dem echten Schmerz der Existenz zu entziehen und stattdessen zu versuchen Selbst und Wert zu in ineinander zu zwängen, zu einem bizarren Zwitterwesen, welches bei der kleinsten Belastung in seine Minderwertigkeit zurückfällt. Ein Versprechen für all jene die zu schwach oder zu dumm sind zu akzeptieren, dass die Hoffnung zuerst sterben muss um zu erkennen, dass hier und jetzt alles schon da ist.



"The cure for the pain, is the pain" - Rumi

Jeder Mensch leidet (unter sich selbst), niemand ist in sich komplett im reinen egal wie sehr es danach aussehen mag. Auch das verbindet uns alle. Der einzige Unterschied besteht zwischen denjenigen die diesen Schmerz fühlen, und mit Liebe, Kreativität und Humor entgegen treten und jenen die sich weigern zu erkennen und blind dem gesellschaftlichen Imperativ zur Selbstoptimierung folgen.

Es braucht nicht mehr um man selbst zu sein und der innere Antagonismus wird nie verschwinden. Ein Selbstwert Problem besteht also nicht in deinem Problem mit dem Selbstwert sondern in der Überzeugung es gäbe überhaupt einen Selbstwert. Jber das Selbst interessiert sich nicht für Werte. Es ist buchstäblich wertfrei.


Das ist in der alten Rumi Geschichte wo ein alter Mann spät nachts unter einer Laterne seinen Schlüssel sucht. Ein Passant kommt vorbei beginnt ihm zu helfen und als sie nach einer Stunde immer noch nichts gefunden haben fragt; Guter Mann wo genau habt ihr den Schlüssel verloren? Dieser Antwortet: Im Haus, aber da ist es dunkel.


Wer versucht sein selbst besser zu fühlen indem er irgendwelche Werte erreicht, sucht an der falschen Stelle. All diese erbärmlichen Selbstwertlösungen sind Teil des Problems. Es ist unmöglich sich selbst zu finden indem man irgendwelchen Werten hinterherläuft, egal wie sehr man behauptet es seinen die eigenen Werte. Das selbst ist nunmal wertfrei. Deswegen antwortete der Dalai Lama auch, dass dem Selbst kein Wert hinzugefügt werden kann.



(Dis)Funktionalität

Damit spricht er natürlich von seiner Perspektive, die quasi das andere Ende des Spektrums bildet. Die Abkehr vom weltlich materiellen hin zur totalen Kontemplation in meditativer Stille ist wohl das Gegenstück zu diesen erbärmlichen Maschinenmenschen die versuchen alles im Leben in einer Erfolgsformel zu berechnen und gar nicht mehr wissen wie leer ihr Leben ist. Wer also versucht eine gefühlte Minderwertigkeit durch Erfolg zu bewältigen, versucht das Problem auf die gleiche Art zu lösen, wie es entstanden ist.


Erich Fromm hat mal gesagt, glücklich wer noch Symptome hat. Das gilt für die meisten die irgendwo in der Mitte, zwischen Selbst und Wert sich abrackern um das eine durch das andere zu kompensieren. Ängste, Depressionen, Brunout alles Symptome dieses verlorenen Kampfes. Wer eigentlich alles hat um glücklich zu sein, es aber nicht ist und trotzdem mehr haben will um es zu werden läuft einfach in die falsche Richtung.


Selbstverständlich ist sind diese Heerscharen von Menschen die hoffen ihr Selbst zu finden indem Sie Werte verfolgen notwendige Bedingung für eine kapitalistische Gesellschaft wie die unsere. Denn der Wert ist die Maßeinheit des Kapitals und je mehr Werte geschaffen werden desto mächtiger wird dieses Kapital.


Zeitliche Einordnung

Die Selbstsuche zweifellos ein Phänomen der Moderne. Als gesellschaftliches Narrativ begleitete sie die Abschaffung des Feudalsystems im 18. Jahrhundert. Das Prinzip der Meritokratie (Erfolg durch Arbeit) löste den Erfolg durch Geburtsstand ab und ermöglichte dem Individuum seine gesellschaftliche Stellung mitzugestalten. Bis dahin, Feudalismus des Mittelalters, war die Klassengesellschaft durch den Willen Gottes und der Obrigkeit als dessen auserkorenen Stellvertreter sanktioniert. Natürlich wurde auch damals schon dem Menschen ein Wert zugemessen, doch es gab weder die Möglichkeit geschweige denn den Appel diesen Wert selbst zu bewirtschaften.

Arbeit, Lohn und gesellschaftliche Stellung waren für jeden Bürger bereits von Geburt an festgelegt. Diese starren Systeme wurden unter anderem durch ein Wirtschaftssystem erhalten, welches den Bürgern das anhäufen und vermehren von Kapital unmöglich machte. Es war verboten sich hochzuarbeiten und seinen Betrieb zu erweitern. Sogar umziehen war untersagt. Selbstverständlich konnten diese Starren Strukturen dem menschlichen Drang nach Fortschritt irgendwann nicht mehr standhalten.


Nach mehreren Revolutionen wurde im 18. Jahrhundert schließlich durch die französische Revolution das Feudalsystem abgeschafft und das Kapital freigesetzt. Damit hatte jeder Bürger das Recht selbst zu bestimmen, wie und wo er arbeitete.

Diesen Akt kompromisslos als einen Akt der Befreiung zu feiern verschleiert die fatalen Konsequenzen welche parallel zu der neugewonnenen Freiheit auftauchten.

Während es des noch als unsittlich galt einem anderen Kaufmann die Kunden abzuwerben, entwickelte sich in der freien Marktwirtschaft schnell ein Konkurrenzkampf.

Das die freie Marktwirtschaft Markt funktioniert basiert auf dem permanenten Wettbewerb vieler einzelner. Jeder hat die freie Wahl aber er ist nicht frei von der Wahl. Diese Notwendigkeit des Wettbewerbs löste die Gesellschaftliche Stabilität des Mittelalters ab und erschuf eine Mentalität in der alle um einen besseren Platz kämpften.


In der Feudalzeit waren andere Anbieter keine Konkurrenz im Sinne eines Wettbewerbers den es zu überbieten galt, sondern eher eine Orientierung um seinen vorgeschriebenen Platz einzunehmen. Erst seit dem die gesellschaftliche Stellung durch wirtschaftlichen Erfolg bestimmt wird trat der Selbstwert aufs Programm. Er symbolisiert die Notwendigkeit selbst zu schauen wie man klarkommt, sich gegen andere durchzusetzen nachdem die Sicherheit der vorgegeben Position abgeschafft wurde. In dieser Bemerkung liegt kein Legitimierung für die feudalistischen Systeme. Doch es ist wichtig zu verstehen, dass dieses Übel nicht einfach zu Gunsten eines freien Lebens abgeschafft wurde, sondern die Freiheit im Dienste des Kapitals steht.


Der König ist tot, lang lebe der König

Die Frage danach wer und was man wert ist, ergab sich also erst nachdem nicht mehr die gesellschaftliche Stellung sondern die Anforderung sich selbst möglichst gut zu positionieren, vorgegeben wurde. In beiden Fällen ist es eine Vorgabe. Das Streben nach dem Selbst(wert) ist zu einer regelrechten Obsession geworden.

Wer heutzutage eine Rolle spielen will, muss ironischerweise zuerst diesem sakrosankten Götzen den Eid ablegen, keine Rolle zu spielen bzw. er selbst zu sein. Die Selbstsuche ist ein gesellschaftlicher Imperativ seit dem König und Kirche wurden vom Kapital abgelöst wurden. Das hat Kapital unter dem Deckmantel der Befreiung die alten Herren abgelöst hat.

Nicht mehr König und Kirche sondern Geld und Status diktieren das Leben.

Doch der neue Herr negiert oder unterdrückt die Freiheit nicht sondern beutet sie aus. Erst mit diesem Appel, besser zu arbeiten, tritt der Selbstwert auf die Bühne. Nicht als Befreier, sondern im Gegenteil es Unterdrücker. Ein Kollaborateur, ein Vermittler der noch mehr aus dem Individuum herausholen soll.

Wer frei sein will muss arbeiten, vor allem an sich selbst.


Die Gute Nachricht

Jedem einzelnen jedoch steht es frei aus diesem verlorenen Kampf auszusteigen und ein Leben substanzielles Leben zu führen.

Werte zu erreichen ohne die verzweifelte Hoffnung dass Sie sich auf das Selbstgefühl auswirken würden, macht ohnehin mehr Spaß.

Wenn Arbeit und Erfolg von befreit sind von diesem unmöglichen Anspruch sich positiv auf das Selbst auszuwirken, fällt es leichter ihre Regeln zu verstehen.

Sich Selbst, Verbundenheit und Sicherheit gut zu fühlen wird aber niemals durch Erfolg kommen. Auch nicht durch irgendwelche lächerlichen Techniken oder Programme zum Selbstwert.

Dafür braucht es einen Blick eine Verbindung zum eigenen. Einen Zugang zur Innenwelt, mit all den Dynamiken, Prozessen und Gefühlen. Denn wo die Sinnlichkeit fehlt, fehlt auch der Sinn.


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